Parlamentskorrespondenz Nr. 605 vom 01.06.2023

Teuerung: Nationalrat beschließt Unterstützungspaket für Sozialhilfe-Haushalte

Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut sollen folgen

Wien (PK) – Der Nationalrat hat heute Nachmittag vor dem Hintergrund der anhaltenden Teuerung ein Unterstützungspaket für Sozialhilfe-Haushalte beschlossen. Zwischen Juli 2023 und Dezember 2024 wird für jedes in Sozialhilfe-Haushalten lebende Kind ein monatlicher Sonderzuschuss von 60 € zur Auszahlung gelangen. Auch Sozialhilfe-Bezieher:innen selbst erhalten eine Zahlung in derselben Höhe – allerdings bis Ende 2023 begrenzt. Außerdem sind zusätzliche Sachleistungen zur Abdeckung des Schulbedarfs sowie Förderungen für Projekte im Bereich der gemeinnützigen und kostenlosen Lebensmittelweitergabe in Aussicht genommen (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 601/2023). Der Beschluss fiel mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und Grünen, weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut sollen in den nächsten Sitzungen folgen. Hierzu wurde am Ende der Sitzung auch eine entsprechende Fristsetzung beschlossen.

Konkret planen die Regierungsparteien, den monatlichen Kinder-Zuschuss von 60 € auch Bezieher:innen von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, Mindestpensionist:innen sowie Alleinerzieher:innen bzw. Alleinverdiener:innen mit einem monatlichen Bruttoeinkommen unter 2.000 € zu gewähren. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde in der heutigen Sitzung eingebracht und dem Familienausschuss – mit Frist 13. Juni – zur Vorberatung zugewiesen.

Dass das von der Regierung im Mai vorgestellte Paket gegen Kinderarmut nicht schon heute dem Nationalrat als Ganzes zum Beschluss vorgelegt werden konnte, hatten Grünen-Sozialsprecher Markus Koza und Sozialminister Johannes Rauch im Wirtschaftsausschuss damit begründet, dass die legistische Umsetzung des Vorhabens nicht so einfach sei. Es gelte sicherzustellen, dass die Leistungen auch wirklich dort ankommen, wo sie benötigt werden, hielt Koza fest. Zudem habe die Frage der auszahlenden Stellen noch geklärt werden müssen. Sowohl Rauch als auch Familienministerin Susanne Raab versicherten im Plenum aber, dass die von der Regierung ankündigten Maßnahmen zur Gänze umgesetzt werden.

Bei der Opposition stieß die Argumentation der Regierungsparteien allerdings auf wenig Verständnis. Man könne nicht eine Sondersitzung einberufen, um ein Paket gegen Kinderarmut zu beschließen, und dann nur eine "Schmalspurversion" des Pakets vorlegen, äußerte sich etwa SPÖ-Abgeordnete Eva Maria Holzleitner empört. Ähnliche Kritik kam von NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger. Auch dass der Gesetzentwurf im Wirtschaftsausschuss vorberaten wurde, sorgte bei SPÖ, FPÖ und NEOS für Unmut. Er erwarte sich, dass das Parlament wieder zu einem geregelten Arbeiten zurückkehre, sagte Nikolaus Scherak (NEOS). Er und sein Fraktionskollege Gerald Loacker waren mit der Forderung, zumindest den zweiten Teil des Pakets im Sozialausschuss vorzuberaten, jedoch letztendlich nicht erfolgreich.

Seitens der Regierungsparteien hielten ÖVP-Klubobmann August Wöginger und Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer der Opposition entgegen, dass die Sondersitzung vorrangig wegen des Energieeffizienzgesetzes einberufen worden sei. Zudem verteidigten sie die geplanten Vorberatungen des zweiten Teil des Gesetzespakets im Familienausschuss, da es schließlich um Leistungen für Kinder gehe. Anders als der Sozialausschuss hat der Familienausschuss vor den nächsten Plenarsitzungen eine Sitzung anberaumt.

Keine Mehrheit für Entschließungsanträge der Opposition

Im Plenum zur Abstimmung kamen auch mehrere Entschließungsanträge der Opposition, die jedoch keine Mehrheit fanden. Konkret sprach sich die SPÖ etwa für die Einführung einer Kindergrundsicherung und einen Rechtsanspruch auf einen "Kinderbildungsplatz" für Kinder in jedem Alter aus. Den NEOS ging es um gezielte Sachleistungen für bedürftige Kinder, wobei NEOS-Abgeordneter Yannick Shetty – ähnlich wie die SPÖ – etwa ein warmes, gesundes Mittagessen in Bildungseinrichtungen anregte.

Zudem forderten sowohl die SPÖ als auch die FPÖ neuerlich einen "Mietenstopp". Sämtliche Mieten sollten bis Ende 2025 eingefroren werden, verlangen die sozialdemokratischen Abgeordneten. Danach sollten sich Mieterhöhungen am Leitzinssatz der Europäischen Zentralbank (EZB) orientieren und maximal 2 % pro Jahr betragen dürfen. Der FPÖ sind unter anderem ein Einfrieren der Richtwert- und Kategoriemieten bis Ende 2026, eine Ausweitung des Vollanwendungsbereichs des Mietrechtsgesetzes, ein Befristungsverbot für gewerbliche und institutionelle Vermieter und die Wiederbelebung der Wohnbauinvestitionsbank ein Anliegen.

In der Minderheit blieb auch ein Fristsetzungsantrag der FPÖ. Sie hatte gefordert, dem Verfassungsausschuss zur Vorberatung ihres im Dezember 2022 eingebrachten Neuwahlantrags ein Ultimatum bis 2. Juni zu setzen.

SPÖ vermisst nachhaltige Maßnahmen zur Verringerung von Kinderarmut

Im Zuge der Debatte erinnerten die SPÖ-Abgeordneten Eva Maria Holzleitner und Petra Wimmer daran, dass sich ÖVP und Grüne im Regierungsprogramm eine Halbierung der Armut in Österreich vorgenommen hätten. Stattdessen sei Kinderarmut zuletzt wieder gestiegen, kritisierte Holzleitner. Auch mit 2 € am Tag werde man Kinderarmut nicht abfedern können. Es brauche keine "Almosen" und keine Einmalzahlungen, sondern ein armutsfestes Sozialnetz inklusive einer Unterhaltsgarantie, so Holzleitner.

Auch Wimmer machte geltend, dass 60 € im Monat keine nachhaltige Unterstützung seien. Damit würden bestehende Probleme nicht gelöst und kein einziges Kind aus der Armut geholt. Eingangs der Sitzung hatte SPÖ-Abgeordneter Jörg Leichtfried von einer "komplett unprofessionellen Vorgangsweise" gesprochen.

NEOS fordern zielgerichtete Unterstützungen mit Fokus auf Sachleistungen

NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger hob die Notwendigkeit zielgerichteter Hilfen für jene Kinder und Jugendlichen hervor, die von Armut betroffen seien. Förderungen mit der Gießkanne würden lediglich die Inflation anfachen, warnte sie. Auch "eine Politik der Schlagzeilen" bringe nichts.

Mit dem vorliegenden Entwurf wird laut Meinl-Reisinger und ihrem Fraktionskollegen Yannick Shetty nur "ein Fünftel" des von der Regierung angekündigten Pakets gegen Kinderarmut umgesetzt. Das sei "grotesk", meinte Meinl-Reisinger, daher könne ihre Fraktion dem Gesetz auch nicht zustimmen. "Legen Sie ein Paket am Tisch, das ordentlich durchdacht ist", appellierte sie an die Koalitionsparteien.

Meinl-Reisinger und Shetty sprachen sich außerdem dafür aus, einen größeren Fokus auf Sachleistungen zu legen. Ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und die Umwandlung aller Schulen in Ganztagsschulen wäre der NEOS-Chefin zufolge ein wichtiger Beitrag dazu, dass alle Kinder gleiche Bildungschancen bekommen.

FPÖ ortet Denkfehler bei ÖVP und Grünen

FPÖ-Abgeordneter Christian Ragger sprach von einer "Husch-Pfusch-Aktion" und warf den Regierungsparteien "Dummheit und Ignoranz" vor. Die FPÖ trage das Gesetz mit, da die sozial Schwächsten Unterstützung bräuchten, sagte Ragger, ÖVP und Grünen würden aber einem grundsätzlichen "Denkfehler" unterliegen. Nicht alle 350.000 bis 370.000 Kinder und Jugendliche, die armutsgefährdet seien, würden in Haushalten von Sozialhilfeempfängern leben. Durch die aktuelle Regierungspolitik werde der Mittelstand "tagtäglich ausgehöhlt", so Ragger.

Sein Fraktionskollege Philipp Schrangl kritisierte insbesondere die Wohnbaupolitik der Regierung und steigende Mieten. Ein Ende der Entwicklungen sei nicht in Sicht, warnte er und warb in diesem Sinn für den FPÖ-Antrag betreffend Mietenstopp.

Grüne: Paket bringt wichtige Hilfen für zehntausende Kinder

Man werde sich das Paket gegen Kinderarmut nicht schlechtreden lassen, hielten die Grünen der Opposition entgegen. Aus seiner Sicht gehe es um eine der wichtigsten Anti-Teuerungsmaßnahmen, die das Parlament zuletzt beschlossen habe, sagte deren Sozialsprecher Markus Koza. Damit helfe man zehntausenden Kindern und ihren Familien. Auch zivile Organisationen und Wirtschaftsexpert:innen würden das Vorhaben ausdrücklich begrüßen. Der zweite Teil des Pakets sei bereits eingebracht worden, betonte Koza.

Seine Parteikollegin Barbara Neßler hob hervor, dass Kinderarmut in Österreich kein neues Phänomen sei, sondern seit Jahrzehnten bestehe. Es seien mehr Kinder und Jugendliche betroffen, als die zweitgrößte Stadt Österreichs, Graz, Einwohner:innen habe. Nun nehme die Regierung insgesamt 500 Mio. € für Unterstützungsmaßnahmen in die Hand. Auch die Zahlen des parlamentarischen Budgetdienstes zeigen ihr zufolge, dass das Paket treffsicher sei.

ÖVP: Regierung steht helfend an der Seite der Menschen

Nach Auffassung von ÖVP-Abgeordnetem Norbert Sieber belegt der vorliegende Gesetzentwurf erneut, dass die Regierung in der aktuell schwierigen Situation "helfend an der Seite der Menschen steht". Schon in der Vergangenheit seien zahlreiche Entlastungsmaßnahmen wie eine automatische Valorisierung von Familienleistungen und die Abschaffung der kalten Progression beschlossen worden. Nun würden weitere Hilfen für besonders vulnerable Gruppen auf den Weg gebracht. Darauf wies auch seine Parteikollegin Johanna Jachs hin. Sieber macht zudem auf die zuletzt verzeichneten Reallohnsteigerungen aufmerksam.

Rauch: Rascher Beschluss stand im Vordergrund

Auch Sozialminister Johannes Rauch und Familienministerin Susanne Raab hoben hervor, dass das vorliegende Paket nicht das erste sei, das man in Reaktion auf die Teuerung beschließe. In den vergangenen Jahren seien Anti-Teuerungsmaßnahmen im Ausmaß von 40 Mrd. € verabschiedet worden, erklärte Raab. Die Situation sei für viele eine schwierige, räumte Rauch ein, die Jahre der Pandemie und die Energiekrise hätten ihre Spuren hinterlassen. Er müsse sich aber gegen den Vorwurf verwahren, dass die beschlossenen Einmalzahlungen nicht treffsicher gewesen seien. Vielmehr hätten Menschen davon profitiert, die das Geld dringend gebraucht hätten. Mit dem vorliegenden Entwurf habe man nun "den Spagat zwischen Treffsicherheit und Geschwindigkeit geschafft". Es sei ihm wichtig gewesen, das Paket gegen Kinderarmut raschestmöglich zu beschließen.

Familienministerin Susanne Raab betonte, im Zentrum der Anti-Teuerungsmaßnahmen seien stets die Familien gestanden. Ziel sei es gewesen, die Kaufkraft zu erhalten. Das sei gelungen. Nun würden gezielt zusätzliche Maßnahmen für einkommensschwache Haushalte gesetzt. Sowohl Raab als auch Rauch versicherten, dass das gesamte von der Regierung angekündigte Paket zur Bekämpfung von Kinderarmut umgesetzt wird. Generell hielt Raab fest, dass Arbeit ein wesentliches Element zur Verhinderung von Armut sei.

In der Debatte meldete sich schließlich auch die fraktionslose Abgeordnete Pia Philippa Strache zu Wort. Sie sprach von einer Ausnahmesituation für viele Menschen in Österreich, besonders hart treffe es Kinder und Jugendliche. Zudem sei Österreich bei der Vorlage eines Nationalen Aktionsplans gegen Kinderarmut säumig. Es gehe darum, bedürftigen Kindern den Zugang zu Bildung, Gesundheit und Wohnen zu gewährleisten. (Schluss Nationalrat) gs/med

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.