Fachinfos - Fachdossiers 05.10.2022

Welche Stellung hat die bzw. der Bundespräsident:in in der Republik?

Am 9. Oktober 2022 findet die Bundespräsident:innenwahl statt. Dieses Fachdossier liefert einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen der Amtsführung und deren Anwendung. (05.10.2022)

Welche Stellung hat die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident in der Republik?

Am 9. Oktober findet die Wahl der Bundespräsidentin bzw. des Bundespräsidenten (BPräs.) statt (siehe dazu das Fachdossier: „Wie wird die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident gewählt?“). Damit rücken die Befugnisse der bzw. des BPräs. in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Dieses Fachdossier gibt einen Überblick über die wichtigsten Regelungen im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) und deren Anwendung. Einen Überblick über die Aufgaben der bzw. des BPräs. bietet das Fachdossier „Welche Befugnisse hat die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident?

Was ist ein semipräsidentielles Regierungssystem?

Österreich hat ein semipräsidentielles Regierungssystem. Zentrale Grundsätze sind:

  • Die Regierungsbefugnisse sind zwischen dem gewählten Staatsoberhaupt und der Regierung unter der Leitung einer vom Staatsoberhaupt ernannten Regierungschefin bzw. eines Regierungschefs geteilt.
  • Die bzw. der Regierungschef:in und die Regierungsmitglieder sind vom Vertrauen des Parlaments abhängig.
  • Staatsoberhaupt und Regierung können das Parlament auflösen und Neuwahlen veranlassen.

Gerade nach 1945 hat die Politikwissenschaft betont, dass solche wechselseitigen Abhängigkeiten die hohe politische Stabilität in Europa garantieren. Erfolgreiches Regieren setzt demnach Zusammenwirken voraus. Als Musterbeispiel gilt Frankreichs Verfassung von 1958. Im Gegensatz dazu bestehen in einem Präsidialsystem (z. B. USA) keine gegenseitigen Abberufungsrechte.

In Österreich war die Regierungsorganisation lange umstritten. 1920 entschied man sich für ein starkes Parlament (siehe das Fachdossier „100 Jahre Bundes-Verfassungsgesetz“). Vor allem die Christlichsoziale Partei forderte ein vom Volk gewähltes Staatsoberhaupt, das die Einheit des Staats gegenüber der Parteienvielfalt im Parlament stärken sollte. Vorbild war die Weimarer Verfassung in Deutschland. Die Verfassungsnovelle 1929 brauchte jedoch die Zustimmung der Sozialdemokratie. Diese setzte ihre Forderungen nach Begrenzung der Befugnisse durch.

Welche Aufgaben und Entscheidungsspielräume sieht die Bundesverfassung vor?

Alle Aufgaben und Befugnisse der bzw. des BPräs. sind im B-VG geregelt. Im Unterschied zu anderen Staatsorganen gibt es keine weiteren Regelungen, die die Amtsführung näher bestimmen. Neue Aufgaben können nur mit einem Bundesverfassungsgesetz geschaffen werden.

Die Grundregel für die Ausübung der Befugnisse ist der Art. 67 B-VG: Demzufolge kann die bzw. der BPräs. nur auf Vorschlag der Bundesregierung (BReg.) oder eines von ihr ermächtigten Regierungsmitglieds tätig werden. Nur, wenn es genau bestimmt ist, kann die bzw. der BPräs. allein handeln (z. B. Ernennung der Bundeskanzlerin bzw. des Bundeskanzlers (BK)).

Für einen Vorschlag der BReg. gilt, dass er gemäß Art. 69 Abs. 3 B-VG einstimmig beschlossen werden muss. Die bzw. der BPräs. hat den Vorschlag rechtlich zu prüfen, kann ihn jedoch nicht ändern. In der Rechtswissenschaft wird betont, dass die bzw. der BPräs. die Entscheidung, einem Vorschlag zu folgen, allein trifft und dafür politisch verantwortlich ist. Vor allem Pernthaler (1967) hat jedoch die Frage aufgeworfen, ob die bzw. der BPräs. nicht generell zur Loyalität gegenüber anderen Staatsorganen verpflichtet sei.

Aufmerksamkeit hat diese Frage 2018 erlangt: BPräs. Van der Bellen folgte dem Vorschlag, den CETA-Vertrag zu unterzeichnen, nicht sogleich. Wie in einem Gutachten von Ludwig Adamovich ausgeführt, wartete er ab, bis der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ein Gutachten zur Vereinbarkeit von CETA und EU-Recht erstattet hatte.

Viele Aufgaben eines Staatsoberhaupts, z. B. Repräsentationsakte und Reden, sind nicht rechtlich geregelt. Das gilt auch für die Außenpolitik der bzw. des BPräs. Für die Zweite Republik ist eine zurückhaltende Amtsausübung typisch. Grund dafür ist zum einen die langjährige Sozialisation der Amtsinhaber in politischen Parteien bzw. im diplomatischen Dienst (Heinisch/ Konrath). Zum anderen kennt die Bundesverfassung kein Verfahren zur Konfliktregelung. Die bzw. der BPräs kann letztlich nur zu ultimativen Mitteln, wie der Entlassung der BReg., greifen.

Wie steht die bzw. der Bundespräsident:in zur Bundesregierung?

Die Ernennung der bzw. des BK gemäß Art. 70 Abs. 1 B-VG wird als eine der wichtigsten Aufgaben der bzw. des BPräs. angesehen. Nach dem B-VG ist die bzw. der BPräs. in der Entscheidung über die Person und den Zeitpunkt frei. Infolge des Zusammenwirkens im semipräsidentiellen System erfolgt dieser Schritt aber üblicherweise im Zusammenhang mit Wahlen zum Nationalrat (NR) und berücksichtigt die Mehrheitsverhältnisse.

Auf Vorschlag der bzw. des BK werden die übrigen Mitglieder der BReg. und gemäß Art. 78 Abs. 2 iVm. Art. 70 Abs. 1 B-VG auch die Staatssekretär:innen ernannt. Die bzw. der BPräs. kann einen Vorschlag ablehnen und damit Einfluss auf die Zusammensetzung der Regierung nehmen. Von dieser Option machte BPräs. Klestil bei der Regierungsbildung im Jahr 2000 Gebrauch.

Auch die Entlassung einzelner Regierungsmitglieder nimmt das Staatsoberhaupt gemäß Art. 70 Abs. 1 B-VG auf Vorschlag der bzw. des BK vor. Allerdings hat die bzw. der BPräs. auch das Recht, die bzw. den BK oder die gesamte BReg. aus eigener Entscheidung zu entlassen. Wenn der NR der BReg. oder einzelnen ihrer Mitglieder gemäß Art. 74 B-VG das Vertrauen versagt, muss die bzw. der BPräs. die Amtsenthebung vornehmen.

In der Ersten Republik hat BPräs. Miklas (1928–1938) diese Rechte in Absprache mit der BReg. intensiv genutzt. 1930 ernannte er eine BReg., die umgehend die Auflösung des NR vorschlug – ohne dass dieser Gelegenheit hatte, einen Misstrauensantrag zu beraten. In der Verfassungskrise 1933 stützte er BK Dollfuß, indem er Appelle ignorierte, die BReg. zu entlassen und die Demokratie wiederherzustellen.

Obwohl die bzw. der BPräs. Teil der Regierung ist, kann sie bzw. er nicht unmittelbar am Handeln der BReg. mitwirken. Es gibt kein Teilnahmerecht am Ministerrat und es bestehen nur wenige Informationspflichten. Der Austausch kann also nur informell erfolgen.

Wie steht die bzw. der Bundespräsident:in zum Parlament?

Der neu gewählte NR kann gemäß Art. 27 Abs. 2 B-VG nur von der bzw. dem BPräs. auf Vorschlag der BReg. einberufen werden. Das gilt auch für die Einberufung des NR zu einer Tagung gemäß Art. 28 Abs. 1 bzw. 2 B-VG, also während oder nach der „Sommerpause“ (siehe dazu den Podcast zum Thema „Sommerpause“). Der Bundesrat (BR) kann hingegen gemäß Art. 36 Abs. 3 B‑VG immer zusammenkommen.

Die bzw. der BPräs. wirkt durch die Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens der Bundesgesetze gemäß Art. 47 Abs. 1 B-VG am Gesetzgebungsprozess mit. In der Rechtswissenschaft (siehe Literaturangaben unten) wird das meist so verstanden, dass nur die Verfahrensschritte von der Einbringung bis zum Beschluss auf formelle Korrektheit zu prüfen sind. Die Aufgabe der inhaltlichen Prüfung liegt demnach beim Verfassungsgerichtshof (VfGH). Erstmals hat BPräs. Fischer 2008 die Beurkundung eines Gesetzes wegen einer offensichtlichen Verfassungswidrigkeit (rückwirkende Strafbestimmung) verweigert. 2020 hat BPräs. Van der Bellen die Beurkundung verweigert, weil ein (angenommener) Abänderungsantrag im NR nur von vier statt wie in § 53 Abs. 3 GOG-NR vorgesehen von fünf Abgeordneten eingebracht worden war.

Gemäß Art. 29 Abs. 1 B-VG hat die BReg. das Recht, der bzw. dem BPräs. die Auflösung des NR (mit sofortiger Wirkung) vorzuschlagen und Neuwahlen zu veranlassen. Die bzw. der BPräs. darf diese „nur einmal aus dem gleichen Anlass verfügen“, muss sie aber nicht begründen. Eine solche Auflösung ist ein einziges Mal, nämlich 1930, erfolgt.

Die bzw. der BPräs. hat kein Rederecht im NR und BR und kann keine Gesetzesanträge einbringen. NR und BR können keine Anfragen oder Entschließungen an die bzw. den BPräs. richten. Da das BPräs.-Amt aber Teil der Vollziehung des Bundes ist, können bestimmte Handlungen von einem Untersuchungsausschuss des NR untersucht (siehe dazu das Fachdossier „Untersuchungsausschuss: Anforderungen eines Einsetzungsverlangens“) oder vom Rechnungshof geprüft (siehe dazu zum Beispiel den folgenden Bericht des Rechnungshofes über Teilgebiete der Gebarung des Bundes) werden.

Eine besondere Befugnis der bzw. des BPräs. sieht Art. 18 Abs. 3 B-VG vor: Wenn in einer Notlage (z. B. Katastrophe) (neue) gesetzliche Maßnahmen erforderlich sind und der NR nicht zusammentreten kann, kann die bzw. der BPräs. bestimmte Verordnungen anstelle von Gesetzen erlassen. Dazu braucht es aber die Mitwirkung der BReg. und des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses des NR. Diese seit 1930 bestehende Möglichkeit ist noch nie gebraucht worden.

Kann die bzw. der Bundespräsident:in angeklagt und abgesetzt werden?

Es gibt folgende Verfahren zur Anklage und Absetzung der bzw. des Bundespräsident:in: 

Absetzung durch Volksabstimmung (Art. 60 Abs. 6 B-VG)

Die bzw. der BPräs. ist dem Staatsvolk politisch verantwortlich und kann durch Volksabstimmung abgesetzt werden. Das Verfahren der Absetzung ist in Art. 60 Abs. 6 B-VG geregelt und kann nur durch den NR eingeleitet werden. Die Grafik „Ablauf der Absetzung der bzw. des Bundespräsident:in durch eine Volksabstimmung“ zeigt die notwendigen Schritte, die für die Absetzung der bzw. des BPräs. erforderlich sind. Den Beschluss über die Durchführung der Volksabstimmung fasst die Bundesversammlung. Wenn sich das Volk mehrheitlich für die Absetzung ausspricht, scheidet die bzw. der BPräs. sofort aus dem Amt. Wenn die Absetzung abgelehnt wird, gilt sie oder er als wiedergewählt und der NR wird automatisch aufgelöst.

Quelle: Art. 60 Abs. 6 B-VG, Stand 5.10.2022, eigene Darstellung.

Anklage vor dem VfGH (Art. 68 und 142 B-VG)

Die bzw. der BPräs. kann wegen Verletzung der Bundesverfassung (Art. 142 Abs. 2 lit. a B-VG) von der Bundesversammlung beim VfGH angeklagt werden. Das Verfahren der Absetzung ist in Art. 68 B-VG geregelt und kann durch den NR oder den BR eingeleitet werden. Die genauen Abläufe sind in der folgenden Grafik „Ablauf einer Anklage der bzw. des Bundespräsident:in vor dem Verfassungsgerichtshof“ veranschaulicht. Dasselbe Verfahren wird angewandt, wenn die Bundesversammlung beim VfGH einen Antrag auf Amtsverlust (Art. 141 Abs. 1 lit. d B‑VG) stellt oder die bzw. der BPräs. die Wählbarkeit wegen einer gerichtlichen Verurteilung gemäß Art. 60 Abs. 1 iVm. Art. 26 Abs. 5 B-VG verliert.

Quelle: Art. 68 B-VG und Art. 142 B-VG, Stand 5.10.2022, eigene Darstellung.

Behördliche Verfolgung (Art. 63 B-VG)

Die bzw. der BPräs. ist ähnlich wie die Mitglieder von NR und BR vor behördlicher Verfolgung geschützt. Eine solche ist gemäß Art. 63 B-VG nur zulässig, wenn die Bundesversammlung ihr zugestimmt hat. Das Verfahren wird durch Antrag der zuständigen Behörde (z. B. einer Staatsanwaltschaft) beim NR eingeleitet. Die Grafik „Ablauf einer behördliche Verfolgung der bzw. des Bundespräsident:in“ gibt einen Überblick über die Verfahrensschritte, die zur behördlichen Verfolgung der bzw. des BPräs. führen.

Quelle: Art. 63 B-VG, Stand 5.10.2022, eigene Darstellung.

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Welche Befugnisse hat die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident?

Dieses Fachdossier liefert einen Überblick über die bedeutendsten Aufgaben und Befugnisse der bzw. des österreichischen Bundespräsident:in im Zusammenspiel mit anderen Staatsorganen.

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